Un-Komplimente

Normalerweise werde ich eigentlich immer für älter geschätzt als ich bin, wobei sich das auch so langsam relativiert und ich mich wahrscheinlich in der Wahrnehmung fremder Leute so langsam meinem tatsächlichen Alter annähere.

Ich hab das auch immer als Kompliment gesehen, wobei sich auch das vermutlich bald ändern wird. Aber noch ist es ja noch nicht so weit, und man darf mich ruhig auf 28 schätzen, ohne von mir böse angeguckt zu werden.

Dass ich jünger geschätzt wurde, ist mir eigentlich erst zweimal passiert und beide Male fand ich das eher nicht so prickelnd.

Das erste Mal war letztes Jahr so um Karneval rum, wahrscheinlich Weiberfastnacht oder so. Jedenfalls standen wir, der Herr S. und ich, im Supermarkt an der Kasse, mit zwei Bier und noch irgendwelchem Kram, als mich die Kassiererin nach meinem Ausweis fragte. Bitte was? Mein Ausweis? Und wofür? Die gute Frau wollte wissen, ob ich denn tatsächlich schon alt genug wäre, um zwei Flaschen Bier zu kaufen. Ich habe mich tatsächlich erstmal ein bisschen geweigert, ihr meinen Ausweis zu geben. Nicht unbedingt aus Trotz, sondern weil ich so verblüfft war, dass ich es erstmal mental verkraften musste, dass die komische Frau hinter der Kasse mich auf mindestens sieben Jahre jünger schätzte, als ich tatsächlich war. Rausgekramt hab ich ihn nachher schon.
Ich habe nachher versucht, mir das ganze irgendwie zu erklären und bin nur zu dem Schluss gekommen, dass es vielleicht zu Karneval eine Anweisung gab, besonders gut aufzupassen. Allerdings bin ich immer noch nicht ganz dahintergekommen. Darf man Bier nicht schon mit 16 kaufen? Und wenn ja, hat sie mich wirklich auf 15 Jahre geschätzt, also nur mal locker zehn Jahre jünger? Mal abgesehen davon, dass ich mal vermute, dass die Jugendlichen, die es ernsthaft aufs Besaufen anlegen, wohl kaum mit zwei Flaschen Bier auskommen. Aber egal.

Das zweite Mal war eigentlich noch grotesker. Dazu sollte man vielleicht noch erwähnen, dass ich mit knapp 20 Jahren von zu Hause ausgezogen bin und auch vorher nur noch die Hälfte der Zeit überhaupt zu Hause übernachtet habe. 2003 sind der Herr S. und ich dann in unsere jetzige Wohnung gezogen. Ich wohne also schon ziemlich lange nicht mehr zu Hause und mein ehemaliges Kinderzimmer ist ziemlich schnell in ein Arbeits-/Gäste-/Wasweissich-Zimmer umgewandelt wurden. Irgendwie fehlten da die Sentimentalitäten. Finde ich aber auch nicht schlimm, da ich auch keine großen Nutzen darin erkennen könnte, bei meinen Eltern in der Wohnung noch ein leeres Zimmer zu haben.
Irgendwann letztes Jahr klingelte es dann bei uns an der Tür und draußen stand ein nettes Mädel, dass mir wahrscheinlich wieder irgendeinen Telefontarif anbieten wollte, den ich Netcologne sei Dank1 eh nicht abschließen könnte. Alles schon mal gehabt. Irritiert hat mich dann die erste Frage, denn die war „Sind deine Eltern zu Hause?“
Öhm. Mal abgesehen von dem Duzen, dass mich zwar prinzipiell nicht stört, aber doch irgendwie komisch klingt… ähm… DAS IST MEINE WOHNUNG!!! MEINE, MEINE, MEINE! Ich zahle hier die Miete und putze den Flur (gelegentlich, ab und zu, wenn ich’s nicht vergesse) und bringe den Müll raus UND HAB DEN VERDAMMTEN MIETVERTRAG SELBER UNTERSCHRIEBEN!

Puh. Abgeregt. War nicht so gemeint.

Leider ist mir keine wirklich schlagfertige Antwort eingefallen, weil mir nie eine einfällt, wenn ich gerade eine bräuchte, sondern immer erst nachher. Also hab ich nur etwas patzig „Das ist meine Wohnung“ gesagt und sie dann vermutlich mit dem Netcologne-Argument abgewimmelt. Ich hätte sagen müssen „Nein, die sind nicht zu Hause, die sind nämlich gerade hier“, was zumindest etwas originell und sogar die Wahrheit gewesen wäre, weil meine Eltern tatsächlich gerade zu Besuch waren.

Aus irgendeinem Grund komme ich nach wie vor nicht über diese Situationen hinweg. Vielleicht, weil mir sowas sonst nie passiert, und es auch noch nicht an der Zeit ist, dass ich es als Kompliment auffasse, wenn mich jemand jünger einschätzt als ich bin. Ändert sich vielleicht noch. Wahrscheinlich sogar.


1 Offensichtlich lassen sich solche Tarife mit Netcologne-Anschluss nicht vereinbaren. Find ich super, weil ich dann sofort einen Grund habe, die Leute abzuwimmeln und mich gar nicht erst auf Diskussionen einlassen muss.

Einer muss ja anfangen. to “Un-Komplimente”

  1. EmmJay Says:

    Irgendwie hört man solche Geschichten viel häufiger von weiblichen Mitmenschen. Entweder, Männer legen nicht so viel Wert darauf, für wie alt sie gehalten werden und vergessen solche Geschichten direkt als „nicht erzählenswert“ oder wir werden grundsätzlich älter eingeschätzt.

    Ich musste nur ein einziges Mal meinen Ausweis zeigen, das war in nem Kino, und ich war tatsächlich zu jung für den Film. Wir haben uns damals einfach ne Karte für nen anderen Film gekauft und sind dann in den viel spannenderen Film geschlichen…

Leave a Reply

You must be logged in to post a comment.